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Fernand Tonnet

Kopf einer goldenen Generation

„Monsieur und Madame Tonnet sind gerade in Quiévrain angekommen, Arbeiterhochburg nahe der belgischen Provinz Hennegau, mit seinem Weiler Quiévrechain an der französischen Grenze gelegen. Wo also sollte der junge Mann seine Ausbildung fortführen? Zu jener Zeit ist dies ein großer Kummer für eine Familie mit bescheidenem Einkommen…

Glücklicherweise übernimmt der Vikar der Gemeinde, Monsieur Abrassart, gern die Aufgabe, seinem neuen Gemeindemitglied einige Stunden in Allgemeinbildung zu geben und zerstreut damit die Sorgen der Eltern.

Aber Abbé Abrassart ist nicht nur sehr gütig und ergeben. Er sieht klar.

Er erahnte von Anfang an, welche Reichtümer sich in dieser noch ganz jungen Seele versteckten, welches Potential an Großzügigkeit, Großmut und, kurzgesagt, an Liebe und Selbstaufopferung.

Und so nimmt er, erfüllt von ganz leidenschaftlicher, priesterlicher Begeisterung, die tägliche Eroberung dieses siebzehnjährigen jungen Mannes in Angriff. Abgesehen von Lektionen von Lehrer zu Schüler … beginnt der Abbé mit den ersten großen Lektionen des Lebens.

Fernand Tonnet begleitet ihn auf seinen Besuchen in der Nachbarschaft …. An seiner Seite entdeckt er das Arbeiterleben, das Leben eines wallonischen Arbeiters, der nach 50 Jahren ein richtiger „Proletarier“ geworden ist. Über die Ausflüge und das Studium hinaus denkt der junge Tonnet nach; er geht im Geiste noch einmal alle Sätze des Abbés durch …; vor seinem inneren Auge zieht immer wieder dieser endlose traurige Film des Elends, das er gesehen hat, vorbei; er denkt an den langen Zug der Arbeiter von Quiévrain und Quiévrechain, die jeden Morgen in aller Frühe nach Blanc-Misseron jenseits der Grenze aufbrechen, um ihre Arbeiterarme zu schinden im Austausch für Brot für ihre Kinder.

Fernand Tonnet sieht. Und er begreift.“ [1]

1894 erblickte ein Mann das Licht der Welt, dessen Lebensweg für uns CAJler und CAJlerinnen von großer Wichtigkeit ist. Die Rede ist von Fernand Tonnet, einem der Gründer der CAJ in Belgien und damit einem der Grundsteine des internationalen Verbands YCW (Young Christian Workers). Mit ihm begann die Geschichte der CAJ in Belgien, dem „Geburtsort“ unseres Verbands, denn aus dieser lokalen Gruppe wurde im Laufe der Jahre und Jahrzehnte eine weltweite Familie von Verbänden.

1912 lernte Tonnet Joseph Cardijn in Laeken nahe Brüssel kennen, der daraufhin zu einem weiteren Mentor für den jungen Mann nach Abbé Abrassart wurde. Die Zusammenarbeit der beiden wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrochen, da Fernand Tonnet als Soldat ins Feld gerufen wurde. Trotz bleibender Wunden durch die Gasangriffe der Deutschen überlebte er den Grabenkrieg und kehrte 1919 nach Laeken zurück. Nicht lange danach fand er sich erneut mit Cardijn zusammen. Zu diesem Team gesellten sich noch zwei weitere junge Männer, Paul Garcet und Jacques Meert. Sie gründeten noch im gleichen Jahr die Jeunesse Syndicaliste (Junge Gewerkschafter) und damit den Vorläufer unseres Verbands. Zusammen führten sie die gewerkschaftliche Bewegung in den folgenden Jahren an, sodass diese bereits 1925 circa 400 neue Gruppen umfasste. Auch die Rolle Fernand Tonnets wuchs, denn während der ersten nationalen Vollversammlung (18.-19. April 1925) in Belgien wurde er zum ersten Präsidenten gewählt. Diese Funktion führte ihn weitere zwei Jahre später schließlich nach Frankreich, wo er bei der Gründung des Verbands in Paris und Lille unterstützte. Die Bewegung wurde international.

Nicht nur in seiner Präsidentschaft lag Tonnets Wert für die seit 1924 in Jeunesse Ouvrière Chrétienne (Young Christian Workers/ Chrisliche Arbeiterjugend) umbenannte Bewegung. Er zeichnete auch für das verbandseigene Magazin verantwortlich und organisierte die erste Pilgerfahrt nach Rom. Er wurde zum Kopf einer ganzen Generation junger Arbeiter und Arbeiterinnen in den 20er und 30er Jahren. Man nennt diese Periode auch das Goldene Zeitalter der Jeunesse Ouvrière Chrétienne. Besonders seine Fähigkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit waren hierbei äußerst hilfreich. Nach seiner Präsidentschaft, die er 1934 aufgrund einiger Diskrepanzen niederlegte, setzte er sich im Rahmen der CSC (Christian Trade Union) weiter für die Arbeitnehmerrechte ein. Somit gab er zwar seinen Führungsposten bei der JOC auf, nicht jedoch seine Leidenschaft, für die Sache der Arbeiter zu kämpfen. Sein Talent als Organisator und Führungsperson zeichnete ihn auch bei späteren Engagements aus.

Dadurch legte er wesentlich zum Gelingen der Verbandsphilosophie bei: der Bewusstmachung und Stärkung der Würde junger Arbeiter. Bis zu seiner Verhaftung 1943 gehörte er der Action Catholique des Hommes (in etwa: Katholische Aktion der Männer) an. Mit seiner Verhaftung wurde aus der schillernden eine tragische Figur. Bereits ab der erneuten Invasion Belgiens durch die Deutschen 1940 war er maßgeblich an der Unterstützung des Untergrundwiderstands vor Ort beteiligt, ohne dass er diesem direkt angehörte. Fernand Tonnet setzte seine Arbeit solange fort, bis er 1943 schließlich durch die Gestapo verhört und verhaftet wurde. Tonnet wurde in das Konzentrationslager Esterwegen im Emsland deportiert, wo er bis März 1944 inhaftiert war. Schließlich wurde er in das Außenlager Bayreuth des KZ Flossenbürg verlegt. Selbst in Gefangenschaft blieb er sich treu und war für Leidensgenossen eine große Stütze, wenn auch bei ihm selbst die Qualen immer deutlicher ihre Spuren hinterließen. Im November 1944 wurde er schließlich nach Dachau gebracht, wo er im dortigen KZ am 2. Februar 1945 verstarb, nachdem er zuletzt nicht einmal mehr in der Lage war zu essen. Als das Lager Ende April des gleichen Jahres – das Hauptlager wurde am 29. April durch US-Truppen befreit – befreit wurde, war es für Fernand Tonnet längst zu spät. Durch sein Wirken für die JOC und durch seine gezeigte Menschlichkeit während der Haft in den drei Todeslagern wurde der Belgier zu einem Märtyrer unseres Verbands. Somit ist er nicht nur als einer der Gründer, sondern vielmehr durch die bereits von Abbé Abrassart erkannte Selbstaufopferung für die Arbeiter von damals ein Vorbild für uns heute.


[1] Frei übersetzt aus Fiévez, Marguerite: La vie de Fernand Tonnet, S. 17.